Bill Cheung: Magisches Theater und eine Secret Session
Von Jörg Alexander
Die Einweihung eines neuen Close-up Theaters und ein kleiner aber feiner Kongress mit
Künstlern auf Weltniveau: exzellente Gründe, Ende August für drei Tage der Einladung von
Bill Cheung nach Wiener Neustadt zu folgen.
Bill ist ein kleiner, feingliedriger Mann, dem man seine ungebremste Energie und große
Begeisterung für die Zauberkunst vielleicht erst auf den zweiten Blick ansieht. Geboren
wurde er im Chinesischen Nanjing und studierte zunächst an der dortigen TU
Computerwissenschaften. Nach seinem Bachelorabschluss zog er 2004 nach Wien, wo er an
der TU weiter studierte. Die Zauberkunst brachte ihn aber dazu, seinen vorgezeichneten
Berufsweg zu verlassen und 2017 ins Profilager zu wechseln.
Spätestens seit seinem Weltmeistertitel in Kartenkunst, den er mit seiner innovativen
Darbietung 2018 in Südkorea errang, ist er in der magischen Szene ein Begriff und dort ganz
offensichtlich auch sehr gut vernetzt. Wie sonst wäre es ihm möglich gewesen, zu einem
kleinen Wochenend-Kongress nahe der Österreichischen Hauptstadt nicht weniger als fünf
hochkarätige internationale Künstler gewinnen zu können: Miguel Angel Gea, Pere Rafart
und Luis Olmedo aus Spanien, Jonio aus Japan und Bernardo Sedlacek aus Brasilien. Alle
diese Künstler hatte ich gerade auf dem Weltkongress in Québéc erleben dürfen, drei von
Ihnen waren dort Preisträger der Wettbewerbe, die beiden anderen waren Referenten bei
Seminaren.
Im März 2019, inmitten der Corona-Pandemie begann Bill zusammen mit seiner charmanten
Frau Yanyan Hao konkret nach einem Ort zu suchen, an dem sein eigenes Close-up-Theater
entstehen sollte. Ein mutiges Unterfangen, zusätzlich erschwert durch eine Unzahl an
behördlichen Auflagen. In einem Industriegebiet in Wiener Neustadt wurde er schließlich
fündig: Eine Industriehalle mit 450 qm und knapp 7 m Deckenhöhe und ausreichend
Parkplätzen vor der Tür.
Über ein halbes Jahr lang verwandelten Bill und Yanyan in unermüdlicher Arbeit die karge
Halle in ein echtes Schmuckstück. Heute findet sich der Besucher zunächst in dem
großzügigen Barbereich wieder, der knapp die Hälfte des Raumes einnimmt. Die mit
goldenen Stoffbahnen abgehängte Decke, der Kronleuchter und die verschiedenen
Sitzbereiche laden zum Plaudern und Verweilen ein und dazu, an der Bar, die die komplette
Stirnseite einnimmt, ein Getränk zu erstehen.
Das Theater selbst bietet durch ansteigende Sitzreihen perfekte Close-up Bedingungen für
120 Zuschauer. Mit der Secret Session 2022, der ersten einer geplanten Serie von Close-up-
Kongressen, wurde es Ende August offiziell eingeweiht.
Das Wochenende war prall gefüllt: Drei One-Man-Shows, fünf Seminare, eine fantastisch
besetzte Gala – einmal für Kongressbesucher, am Tag darauf als öffentliche Vorstellung – ein
kleine Händlermesse und ein optional buchbarer Workshop wurden uns Teilnehmern geboten.
Zuviel, um auch nur ansatzweise alle Inhalte wiedergeben zu können. Darum hier im Tiefflug
einige persönliche Highlights:
Der doppelte „Any Card at any Number“ Effekt von Bernardo Sedlacek, der in seinem
Workshop einem kleinen Teilnehmerkreis auch die beste mir bekannte Version von „Out of
this World“ erklärte; die fantastische Routine „Münzen und Zauberstab“ von Miguel Angel
Gea; die chaotisch, magisch, witzige FISM-Kartendarbietung von Pere Rafart, die er auch in
allen Einzelheiten in seinem Seminar erklärte; seine brillante Idee zu Jose Carrolls „Karte im
Notizblock“; Jonio aus Japan, der aus seinem Bart immer größer werdende Münzen
erscheinen lässt („My beard is weird“) und schließlich die wundervolle Matrix-Sequenz „The
Fountain“ von Louis Olmedo, die mich schon in Québéc so begeistert hat.
Und natürlich die gemeinsame Gala, die von den gebuchten Künstlern und Bill Cheung
gemeinsam präsentiert wurde. Hier sahen wir einige der Effekte, die Bill in Zukunft in seinem
regulären Programm spielen wird, beispielsweise eine mehrphasige Rubiks Cube Routine und
eine gezeichnete Karte unter das Glas eines Bilderrahmens.
Bill plant diese Show unter dem Titel „Hundert Minuten Wunder“ regelmäßig einmal pro
Woche zu spielen. Eine doppelte Herausforderung, denn zum einen will ein Theater mit 120
Plätzen gefüllt sein, zum anderen ist Deutsch für ihn immer noch eine Fremdsprache. In
gewohnter Manier geht er letzteres Problem frontal an: „Ich verbringe viel Zeit damit, das
Drehbuch zu schreiben.“ erzählt er mir.
Der Kongress war für Bill auch Gelegenheit, Feedback und Verbesserungsvorschläge von den
Besuchern zu erhalten. Stephan Kirschbaum, der Betreiber der „Nürnberger
Wundermanufaktur“, und Stefan Schmitt und seine Frau Yvonne, die Betreiber des
„Verschmittst“-Theaters in Weilheim, konnten ihm dabei besonders hilfreiche Tipps und
Hinweise geben: zur optimale Beleuchtung, zur Einstellung des Mikrophons und zu tausend
andere Themen.
Ich wünsche Bill und seiner Familie alles Gute und viel Erfolg für ihr ebenso ehrgeiziges, wie
wundervolles Projekt. Ich freue mich darauf, irgendwann Bills komplette Show zu erleben,
die Veränderungen und Verbesserungen des Theaters zu sehen und darauf, wieder und sehr
sehr gerne an einer weiteren Secret Session teilzunehmen. Ich denke, allen begeisterten
Besuchern geht es ähnlich.